C1_LF-4.1 Fam. R.

 

Mit der Geburt der schwerbehinderten Tochter begann das Leid dieser Familie. In ihrem an den NOTHilfe e.V. gerichteten Brief schreibt Frau R.:

„… der schicksalhafte Tag in unserem Leben, er hätte ein Glückstag werden können, denn unsere zunächst gesunde Tochter wurde geboren, aber durch Unachtsamkeit der Ärzte wurde unser Schicksal gnadenlos besiegelt. Der dringend notwendige Blutaustausch wurde viel zu spät … durchgeführt, als das Kind bereits schwere Hirnkrämpfe bekam und klinisch tot war … Da ein Paragraph zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war, konnten wir gegen die Ärzte nichts unternehmen und bekamen auch keinerlei Hilfe.“

 

Größte Erfolge mit medizinischen „Außenseitermethoden“

An einer anderen Stelle in jenem Brief beschreibt Frau R. den Kraftakt, die Tochter in eine gute Zukunft zu führen:

„… 6 Monate Aufenthalt in der Schweiz, für die wir selbst aufkommen mußten, brachten den ersten kleinen Fortschritt; ebenso die Therapie zu der wir zwei Jahre lang alle 14 Tage nach St. Gallen mußten und es in Deutschland nichts ähnliches gab.

Eine 3-jährige Behandlung in München bei Prof. Haubold brachte den ersten für uns großen Erfolg. Unsere Tochter konnte nun die Augen richtig bewegen und die sehr schweren Schlafstörungen wurden dort behoben, allerdings mußten wir 3 Jahre alle 4 Wochen nach München … Auch das kostete uns ein Vermögen, da diese Methode von der Krankenkasse nicht anerkannt war, aber kein Kassenarzt konnte uns helfen.

Beachtliche Erfolge wurden in Senftenberg bei Wien ersichtlich. Unsere Tochter begann zu sitzen und konnte sich endlich bemerkbar machen, wenn sie zur Toilette mußte, was bis dahin ganz unmöglich war … Dafür benötigten wir 20 Kuren.

Es folgten immer wieder Behandlungen bei Professoren … und Heilpraktikern in Bonn, München, Stuttgart, Tübingen, Basel, St. Gallen, Wien, Augsburg und Turin …

Wir haben viel erreicht, unsere Tochter ein einigermaßen lebenswertes Leben zu ermöglichen, so daß sie heute einen elektrischen Rollstuhl fahren kann. Trotzdem bedarf es auch noch immer unserer ständigen Hilfe z.B. anziehen, ausziehen, waschen, essen geben und zur Toilette bringen …“.

 

Bank droht massiv mit Zwangsversteigerung

Die Eltern, denen immer wieder geraten worden war, ihr Kind in ein Heim zu geben, gingen bis an ihre äußersten Grenzen. Sie ließen nichts unversucht, verschuldeten sich, so daß zuletzt die Zwangsversteigerung ihres Wohnhauses nur unter größten Anstrengungen abgewendet werden konnte.

 

NOTHilfe e.V. setzt gewaltige Finanzmittel ein

Der NOTHilfe e.V. hielt über viele Jahre mit erheblichen Monatsüberweisungen Familie R. „über Wasser“ und konnte die Bank nur deshalb davon abhalten, einen Zwangsverkauf einzuleiten. Durch Einbeziehung eines CDU-Bundestagsabgeordneten, katholischen Dekans und einer Stiftung in München ist es gelungen, Familie R. nahezu komplett zu entschulden.

 

Frau R. opfert sich auf

Die ganze Last lag insbesondere auf den Schultern von Frau R. Sie gönnte sich keine Ruhe, zerrieb sich ganz für ihre Familie. Mehr als 45 Jahre pflegte sie ihre Tochter. Morgens um 05.00 Uhr bereitete sie ihr Kind für die Abholung in eine Behinderten-Werkstatt vor. Danach wartete der Haushalt mit ständigen Wäschebergen auf sie, wie dies bei Pflegefällen gängige Praxis ist. Frau R. nahm stillschweigend ihre letzten Kräfte zusammen, denn zu umsorgen war auch noch ihr Mann: beinamputiert, herzkrank und psychisch instabil.

Dies blieb nicht ohne gesundheitliche Folgen. Mehrere Hausunfälle, die wohl auf Erschöpfung zurückzuführen waren und zum Teil operative Maßnahmen und stationäre Krankenhausaufenthalte erforderten, führten dazu, das Frau R. zuletzt selbst zu einem Pflegefall geworden war. Mittlerweile ist sie verstorben.

 

Bundespräsident verleiht Bundesverdienstkreuz

Bemerkenswert ist insbesondere die Lebensleistung der Frau R. Sie nahm ihr Schicksal beherzt in die Hand, veröffentlichte in den 1960er Jahren einen Zeitungsartikel, auf den sich seinerzeit mehrere Familien mit behinderten Kindern meldeten und begründete eine Selbsthilfegruppe. Aus diesen kleinen Anfängen ist ein Körperbehinderten-Zentrum mit heute über 1000 behinderten jungen Menschen erwachsen, die dort betreut, beschult und ausgebildet werden.

Der NOTHilfe e.V. schlug Frau R. deshalb für eine Staatsauszeichnung vor. Der Bundespräsident verlieh ihr das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.